Ein Erzählgedicht
über mein Leben von 1945 bis 2018.
Zeugnis eines beeindruckenden Lebens.
110 Seiten
1. Auflage, Hannover 2020
Statt einer Buchvorstellung hier ein wesentlicher Auszug aus dem Vorwort:
1945: Das Jahr der Befreiung vom deutschen Faschismus. Das Reich, das Tausend Jahre werden wollte, es liegt in Schutt und Asche. Die gerade noch Großdeutschen sind im Jubel über die Befreiung noch zurückhaltend. Demokratie, man weiß ja nicht – zumindest der Ruf des Werwolfs aber verhallt ungehört, dringender braucht‘s jetzt Kohlen und Kartoffeln.
Im folgenden Jahrzehnt wird der deutsche Westen von einer Welle des Pragmatismus erfasst, deren Dynamik die Vergangenheit vergessen macht. Eine Weile noch übt sich das Land der Täter in der Pose der Opfer, kann sich darin aber selbst kaum überzeugen. Mehr Schwung hat da das Wirtschaftswunder. Die Industrie des Ruhrgebiets, der Hafen Hamburgs – die neuen, alten Strukturen produzieren Werte, die nicht nur Esstische füllen und Öfen wärmen: Ihr Feuer erfasst die Welt, zunächst noch schwelend und subtil. Mehr als ein halbes Jahrhundert soll es dauern, bis wir erkennen: Die Infernos der Weltkriege mögen hinter uns liegen, doch eine andere Überhitzungskatastrophe kündigt sich an. Und mit unserem vermeintlich pragmatischen, vergangenheits-bewältigenden Wirtschaftsgewundere fachen wir sie an.
In diese bewegte Geschichte der Nachkriegszeit und Spätmoderne wird Rainer Gith hineingeboren. Der Hamburger Jung ist ein begnadeter Beobachter: Schon im Laden seiner Großmutter kriegt er genau mit, welche dramatischen Lebensgeschichten die Kundinnen mit seiner Großmutter zwischen Kurzwaren und Kasse besprechen. Eine vortreffliche Auffassungsgabe und präzise Erinnerung, verbunden mit einer gehörigen Portion Fantasie lassen ihn den Entwicklungen seiner Welt mit Spannung folgen, immer empathisch mit den Menschen mitgehend, die darin umher-geworfen werden.
Rainer Gith bleibt beim Beobachten jedoch nicht stehen. Nach einer von Gemeinschaft, aber auch Leistungsdruck und Abwertung geprägten Schulzeit, in der seine Unangepasstheit noch keine Richtung kennt, wird er früh im Berufsleben zum Fürsprecher der Arbeiterinteressen. Sein großes Mitgefühl und sein Gerechtigkeitssinn, sein Wissen darum, was Mangel bedeutet, und sein grenzenloser Optimismus überzeugen die Kollegen, und so findet der Gewerkschafter Gith seine Berufung. Zunächst der Betriebsrat, bald dann die Industriegewerkschaft werden ihm zur gesellschaftspolitischen Heimat. Sein Kommunikationstalent und seine Entschlossenheit bescheren ihm große Erfolge als Verhandlungsführer bis hin zur Bundesebene. Für seine Kolleginnen und Kollegen holt er raus, was nur geht und verteilt einen Teil des neuen Reichtums im Lande demokratisch um. Noch im Ruhestand setzt er sich für eine gerechte Teilhabe der Arbeiter*innen und der Arbeitslosen ein und scheut sich nicht, auch der eigenen Organisation auf die Finger zu klopfen, wenn sie diese Ideale zu vergessen droht. Und schließlich stellt er die Grundlagen des Wachstums infrage, da er die soziale Frage im 21. Jahrhundert als eng verwoben mit der ökologischen erkennt.
Nicht nur historisch interessierter Beobachter und politischer Kämpfer für soziale Gerechtigkeit ist Rainer Gith zeit seines Lebens, sondern auch Familienmensch, begeisterter Radwanderer, Freund der Künste und Genießer. Kaum jemand vermag den Wert der menschlichen Gemeinschaft und Geselligkeit mehr zu schätzen als er. Die Besonderheit des Einfachen, die Schönheit des Alltäglichen vermag er zu erfassen – sowie auch seine Komik. Das erfüllt ihn mit Dankbarkeit für jeden Tag. Aus dieser Haltung heraus hält er im folgenden Gedicht Rückschau auf sein bisheriges Leben. Er lässt uns teilhaben am Reichtum von gut sieben Dekaden, an utopischen Idealen und kritischen Betrachtungen, an wonnigen und liebevollen Momenten. Danke Dir, Rainer, dafür!
Hannah Engelmann